Die romantische Vorstellung über die Arbeit eines Autoren: allein und abgerückt von der Welt fliegen seine Hände mühelos über die Seiten, bis die Geschichte fertig ist. An einem schneeweißen Strand natürlich.

Erst einmal die Frage: Woher kommt das Bild vom einsamen, genialen Autor?

Wenn wir in der Geschichte zurückgehen und uns im frühen Mittelalter umschauen, müssen wir lange nach diesen Autorentyp suchen. Mönche (und auch Nonnen!!) standen in Scriptorien zusammen und schrieben solange es das Tages- und das Augenlicht zuließen. So sind für die meisten frühmittelalterlichen Werke kaum Autorennamen überliefert.

Zum Beispiel das WESSOBRUNNER GEBET (um 800), das MUSPILLI-LIED (um 870), HEILAND (um 830), WALTHARIUS (um 900) oder der erste mittelalterliche Roman RUODLIEB (um1050).

Schreibende Mönche in einer klösterlichen Buchmanufaktur im frühen Mittelalter.

Schreibende Mönche in einer klösterlichen Buchmanufaktur im frühen Mittelalter. Quelle: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Schreiber.jpg

ABER das war nicht immer so. Aus der Antike sind uns zahlreiche Autorennamen überliefert wie Homer, Aristoteles, Sophokles, Ovid, Vergil. Wenn man die Augen schließt, hat man sie vor Augen, diese einsamen, genialen Köpfe, die großartige Werke geschaffen haben, (seltsamerweise allesamt Männer). Schließlich sind nicht nur ihre Namen überliefert, sondern auch ihre in Stein gehauenen Portraits.

Kopf des Homer aus dem 5. Jahrhundert

Büste des Homer. Quelle. Foto: Gemeinfrei. https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Homeros_MFA_Munich_272.jpg

Das frühe Mittelalter aber stieß den Autor vom Podest. Sie hießen dann auch Schreiber. Denn es ging in erster Linie um das Werk und nicht um das Individuum.

Doch das dauerte nicht lange, und sie waren wieder da, jene, die sich aus der Anonymität heraushoben, z.B.: Walter von der Vogelweide (Minnesang), Hildegard von Bingen (kirchliche Texte).

Spätestens seit der Renaissance (Wiedergeburt der Antike) stand der Mensch als Individuum wieder ganz im Vordergrund. Für ihre Werke wurden die Autoren aber nicht nur geliebt, sondern auch gehasst, z.B. Hans Sachs (1494–1576) mit „Das Kälberbrüten“, Sebastian Brant (um 1457–1521) mit „Das Narrenschiff“, Erasmus von Rotterdam (um 1467–1536) mit „Das Lob der Torheit“ und natürlich Martin Luther (1483–1546) mit seiner Bibelübersetzung und seinen Kirchenliedern.

Lucas Cranach der Ältere (1472–1553) Porträt von Martin Luther als Augustiner Mönch

Lucas Cranach der Ältere (1472–1553) Porträt von Martin Luther als Augustiner Mönch. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Luther_Cranach_the_Elder_BM_1837-0616.363.jpg

Heute herrschen hier und da mittelalterliche Zustände:

ECHT? JA! Nicht überall, wo der Autor drauf steht, ist auch der Autor drin. Vor allem bei besonders erfolgreichen Titeln, die in kurzen Abständen erscheinen, ist dies der Fall, z.B. bei den Romanen von „Jerry Cotton“. Hinter diesem Namen verbergen sich unzählige Autoren, die namentlich nicht genannt werden. Oder James Patterson, der mehrere Autoren für seine Romane beschäftigt, deren Namen aber nicht genannt werden.
Für die zeitgenössische Literatur ließen sich noch sehr viele Bespiele finden.

Wenig Einsamkeit im Film

HAT DAS WER GESCHRIEBEN? In den ersten Jahren des Kinos waren Drehbuchautoren noch irgendwie bekannt, z.B. Thea von Harbou oder Robert Liebmann. Gegen den Glamour der Regisseure und Schauspieler kamen sie jedoch nie an. Heute kennt keiner mehr den Namen eines Drehbuchautors.

AUSNAHME: Es sei denn, es handelt sich um die „einsam kämpfenden“ Autorenfilmer. Diese werden allerdings zuerst als Regisseure wahrgenommen, die ihre Drehbücher selbst schreiben.

DAS MITTELALTER IST WIEDER DA. Spätestens seit dem Streaming-Boom sind wir wieder in den alten Zeiten angekommen. Die Drehbücher werden in sogenannten „Writers‘ Rooms“ von mehreren Autoren verfasst, deren Namen je nach Position im Autorenkollektiv nirgends auftauchen. Einen Vorspann, in dem die Filmemacher genannt werden, gibt es kaum mehr und der Abspannt wird weggeklickt. Denn eigentlich verbindet der Zuschauer auch nichts mit den Autoren von „Breaking Bad“, „Haus des Geldes“ oder „Lupin“. Es geht in erster Linie um das Erleben, um das Werk. Dass alle Filme und Serien zuerst als Drehbücher vorliegen, ist meistens nicht im Bewusstsein.

Blick in die Kristallkugel:

Die Zuschauer und die Leser verlangen darüber hinaus immer schneller nach neuem Stoff. Das Internet setzt das Maßstab der mausklickschnellen Verfügbarkeit. Ich denke deshalb, dass es in Zukunft schwieriger sein wird, als einsamer Autor zu bestehen, da immer komplexere Geschichten in immer schnellerer Zeit verlangt werden, besonders beim Film. Mehrere Autoren werden sich entweder zusammentun, oder aber der Autor lernt, die Maschine als Assistenten zu nutzen (dazu demnächst mehr!).

Eine spannende Zeit!

Bleib mutig und an den Tasten

Deine,

Leila Emami

5. April 2022

Leila Emami

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